Gesetz zur künftigen virtuellen Hauptversammlung in Kraft, von Dr. Martina Schmid

Gesetz zur künftigen virtuellen Hauptversammlung in Kraft, von Dr. Martina Schmid

Die virtuelle Hauptversammlung ist nun fest im Aktiengesetz verankert - ob sie sich in dieser Form dauerhaft bewährt, ist allerdings zweifelhaft.

Der von der Bundesregierung am 27. April 2022 verabschiedete Gesetzentwurf zur virtuellen Hauptversammlung wurde noch vor der Sommerpause am 7. Juli 2022 vom Bundestag verabschiedet und ist am 26. Juli 2022 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Bereits einen Tag später trat das Gesetz in Kraft.

Gegenüber der Rechtslage nach dem COVID-19-Gesetz und auch dem ursprünglichen Referentenentwurf wurden die Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung erheblich ausgeweitet und denjenigen in einer Präsenzversammlung angenähert. Für die Gesellschaften bedeutet dies einen erheblichen Zusatzaufwand, was die künftige Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung wenig attraktiv machen dürfte.

Status quo (COVID-19-Gesetz) und Gesetzesentwürfe

Seit März 2020 können die Leitungsorgane einer AG, KGaA und SE auf Grundlage des COVID-19-Gesetzes rein virtuelle Hauptversammlungen abhalten. Da dieses Format seitdem häufig genutzt wurde, wurde seit einiger Zeit - durchaus kontrovers - diskutiert, wie die Hauptversammlung der Zukunft ausgestaltet sein könnte. Während der am 10. Februar 2022 veröffentlichte Referentenentwurf zwar eine Ausweitung der Aktionärsrechte gegenüber der Pandemie-Gesetzgebung vorsah, dies aber noch „wohldosiert“, orientiert sich das nun verabschiedete Gesetz - ähnlich wie der Regierungsentwurf - ganz weitgehend an der herkömmlichen Präsenzversammlung.

Die Regelungen des in Kraft getretenen Gesetzes

Das nun in Kraft getretene Gesetz schafft rechtzeitig vor dem Auslaufen der COVID-19-Gesetzgebung Ende August 2022 die Grundlage für die künftige - pandemieunabhängige - Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen.

Erfordernis einer befristeten Satzungsregelung 

Wie schon der Referentenentwurf und der Regierungsentwurf sieht das Gesetz das Erfordernis einer maximal auf fünf Jahre befristeten Satzungsregelung zur Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung vor. Erfreulich ist, dass die noch im Regierungsentwurf enthaltene Möglichkeit, bestimmte Beschlussgegenstände vom virtuellen Format auszuschließen, im finalen Gesetz gestrichen wurde. Damit ist die virtuelle Versammlung in jeglicher Hinsicht eine vollwertige Alternative zur herkömmlichen Präsenzversammlung.

Nach der Übergangsvorschrift im EGAktG kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis Ende August 2023 eine virtuelle Hauptversammlung auch ohne eine entsprechende Satzungsermächtigung abhalten. Es empfiehlt sich, die HV-Saison 2023 zur Schaffung einer solchen Satzungsermächtigung zu nutzen, was in der Praxis auch zu erwarten ist.

Vorgaben für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung

Nach der zentralen Vorschrift des § 118a AktG gelten für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung folgende Vorgaben:

Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung;
Ermöglichung der Stimmrechtsausübung im Wege der elektronischen Kommunikation (elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl) sowie Vollmachtserteilung; vollumfängliche Antragsrechte der Aktionäre in der Versammlung (einschließlich Gegenanträge und Wahlvorschläge) im Wege der Videokommunikation; Auskunftsrecht der Aktionäre im Wege der elektronischen Kommunikation einschließlich Nachfragerecht; Veröffentlichung des Berichts des Vorstands spätestens sieben Tage vor der Versammlung, sofern vorgegeben wird, dass Fragen bis spätestens drei Tage vor der Versammlung einzureichen sind; Recht der Aktionäre zur Einreichung von Stellungnahmen im Wege elektronischer Kommunikation und Veröffentlichung der Stellungnahmen; Rederecht der Aktionäre während der Versammlung im Wege der Videokommunikation; Widerspruchsrecht der Aktionäre im Wege der elektronischen Kommunikation.

Zudem ist vorgesehen, dass alle Mitglieder des Vorstands und grundsätzlich alle Mitglieder des Aufsichtsrats am Ort der Hauptversammlung physisch anwesend sein sollen. Aufsichtsratsmitglieder können im Wege der Bild- und Tonübertragung zugeschaltet werden, sofern dies in der Satzung vorgesehen ist. Daneben haben der Versammlungsleiter, der Abschlussprüfer (nur im Ausnahmefall, dass die Hauptversammlung den Jahresabschluss feststellt), der Notar und optional Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft in Präsenz teilzunehmen.

Vollumfängliche Antragsrechte der Aktionäre

Nach der verabschiedeten Gesetzesfassung können sämtliche Anträge in der Hauptversammlung selbst gestellt werden. Anders als noch im Referentenentwurf vorgesehen, können auch Gegenanträge und Wahlvorschläge spontan in der Hauptversammlung gestellt werden. 

Die Antragstellung ist allerdings - insofern abweichend vom Regierungsentwurf - nur im Wege der Videokommunikation möglich. Werden Gegenanträge oder Wahlvorschläge fristgerecht vor der Hauptversammlung eingereicht und von der Gesellschaft zugänglich gemacht, gelten diese als im Zeitpunkt der Zugänglichmachung gestellt, es sei denn, der Aktionär ist nicht ordnungsgemäß legitimiert und angemeldet. Im Fall der Zugänglichmachung von Gegenanträgen und Wahlvorschlägen muss eine Abstimmung über die Anträge ermöglicht werden, sobald die Voraussetzungen für die Ausübung des Stimmrechts nachgewiesen werden können. 

Elektronische Stellungnahmen und Rederecht der Aktionäre

Wie schon die Gesetzesentwürfe sieht das finale Gesetz die Möglichkeit der Einreichung von Stellungnahmen der Aktionäre im Wege der elektronischen Kommunikation vor. Die Stellungnahmen müssen spätestens fünf Tage vor der Hauptversammlung eingereicht werden und sind von der Gesellschaft allen Aktionären bis spätestens vier Tage vor der Versammlung zugänglich zu machen. Im Gegensatz zu den Gesetzesentwürfen sieht das in Kraft getretene Gesetz sowohl für das Recht auf Einreichung von Stellungnahmen als auch für die Zugänglichmachung die Möglichkeit der Gesellschaft vor, diese auf zur Hauptversammlung angemeldete Aktionäre zu beschränken.

Eine deutliche Ausweitung gegenüber dem Referentenentwurf hat das Live-Rederecht der Aktionäre im Wege der Videokommunikation erfahren. Während ein Redebeitrag nach dem Referentenentwurf noch spätestens vier Tage vor der Versammlung bei der Gesellschaft angemeldet werden musste und außerdem im Rahmen eines Redebeitrags keine Fragen, Nachfragen oder Anträge gestellt werden durften, sind diese Einschränkungen entfallen. Im Rahmen eines Redebeitrags können nunmehr sowohl Anträge als auch Fragen, Nachfragen und Fragen zu neuen Sachverhalten gestellt werden. Zur Ermöglichung des Rederechts ist die Einrichtung einer Zwei-Wege-Videokommunikation erforderlich. Zur praktischen Umsetzung soll ab Beginn der virtuellen Hauptversammlung ein „virtueller Wortmeldetisch“ eingerichtet werden.

Auskunftsrecht der Aktionäre wird erweitert

Erhebliche Änderungen gegenüber dem COVID-19-Gesetz bringt das in Kraft getretene Gesetz im Hinblick auf das Auskunftsrecht der Aktionäre.

Bislang konnte die Gesellschaft vorgeben, dass Aktionärsfragen vor der virtuellen Hauptversammlung eingereicht wurden, die dann in der virtuellen Hauptversammlung beantwortet wurden. Ein Nachfragerecht der Aktionäre in der virtuellen Hauptversammlung bestand nicht. Zwar kann auch nach dem finalen Gesetz die Vorab-Einreichung von Fragen bis spätestens drei Tage vor der Versammlung vorgegeben werden. Das Recht zur Einreichung von Fragen kann zudem auf angemeldete Aktionäre beschränkt werden. Allerdings sind solche Fragen künftig allen Aktionären zugänglich zu machen und auch vorab von der Gesellschaft zu beantworten und die Antworten bis spätestens einen Tag vor der Versammlung allen Aktionären zugänglich zu machen. Falls diese Vorgaben erfüllt werden, müssen diese Fragen in der Versammlung selbst nicht mehr beantwortet werden. 

Zusätzlich können die Aktionäre während der virtuellen Hauptversammlung Nachfragen zu - sämtlichen - Antworten stellen (also nicht nur zu den Antworten auf die vom jeweiligen Aktionär selbst gestellten Fragen). Zudem können die Aktionäre Fragen zu Sachverhalten stellen, die sich erst nach Ablauf der Frist zur Vorab-Einreichung von Fragen ergeben haben. Lediglich die Möglichkeit zur Stellung von zusätzlichen Fragen, die auch schon im Vorfeld hätten gestellt werden können, wurde aus dem Regierungsentwurf erfreulicherweise nicht übernommen. Anders als das Recht zur Einreichung von Fragen kann die Zugänglichmachung der Fragen und Antworten nicht auf angemeldete Aktionäre beschränkt werden.

Vermutlich wird es in der Praxis - in Fortsetzung der Praxis der letzten HV-Saisons unter dem COVID-19-Gesetz - zum Regelfall werden, dass der Vorstand auch künftig die Vorab-Einreichung von Fragen vorsieht. Allerdings wird zu bedenken sein, dass die vorgeschriebene Beantwortung, die Zugänglichmachung der Fragen und Antworten vor der Hauptversammlung und das Nachfragerecht der Aktionäre während der virtuellen Hauptversammlung zu einem doppelten Aufwand für die Gesellschaften führen können. Fehlerpotenzial kann sich außerdem aus dem Umgang mit einer Vielzahl von (Nach-)Fragen und der zeitnahen Reaktion hierauf durch den Versammlungsleiter ergeben. 

Ausblick

Der „große Wurf“ dürfte dem Gesetzgeber mit dem finalen Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung nicht gelungen sein. Es bleibt abzuwarten, ob die Gesellschaften auf dieser gesetzlichen Grundlage auch künftig eine virtuelle Hauptversammlung durchführen oder ob nicht einige oder viele zur Präsenzversammlung zurückkehren. Erheblicher Mehraufwand - abgesehen von Saalmiete und Catering - dürfte damit nicht verbunden sein. Jedenfalls sollte das Übergangsjahr 2023 genutzt werden, um eine entsprechende Satzungsermächtigung zu schaffen.

Autorin: Dr. Martina Schmid, Partnerin CMS (law/tax/future)

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