„Die Last des Erfolges“

Familienunternehmen sind seit vielen Jahrzehnten ein Erfolgsmodell „Made in Germany“. Für den Weg in eine erfolgreiche Zukunft aber werden sie sich von einigen Gewohnheiten ihrer profitablen Gegenwart lösen müssen.
 

Familienunternehmen stehen für beständiges Wirtschaften mit verlässlichen Geschäftsmodellen und Kundenbeziehungen. Über Generationen wuchsen viele von ihnen zu großen und global agierenden Unternehmen, die heute nicht selten Marktführer in ihren Branchen sind. Die Ursprünge dieser Erfolge reichen aber häufig weit zurück in die Vergangenheit, zu Momenten, in denen die Kinder den Mut besaßen, das Unternehmen ihrer Väter grundlegend zu verändern. Ohne diesen Aufbruch in neue und unbekannte Geschäftsfelder oder Märkte wäre etwa der Maschinenbauer Voith noch immer eine kleine Schlosserei, der auf Edelmetallverarbeitung spezialisierte Technologiekonzern Heraeus eine Apotheke und der Discounter Aldi ein kleiner Tante-Emma-Laden in Essen-Schonnebeck. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten es die Unternehmen ohne diese Urform der Disruption nicht bis in die Gegenwart geschafft. Für den Weg in eine erfolgreiche Zukunft müssen sie nun erneut zu Pionieren werden.

Die Frage, wie veränderungsfähig Familienunternehmen heute sind, ist keine theoretische Übung - die Antwort darauf entscheidet über ihren künftigen Erfolg, langfristig sogar über ihre Existenz. Unsere Gegenwart ist vor allem durch die Digitalisierung einem umfassenden Wandel unterworfen. Das Tempo dieser Veränderungen ist beispiellos. Zyklen, die sich früher in einem halben Jahrhundert vollzogen, laufen heute zum Teil in nur fünf Jahren ab. Die digitale Epoche ist in ihren Auswirkungen nur mit den Umwälzungen vergleichbar, die einst der Buchdruck oder die Erfindung der Dampfmaschine hervorriefen. Fast täglich erreichen neue Technologien und Materialien die Märkte, die sich wiederum stetig ostwärts in den asiatischen Raum verschieben. Auch die Menschen ändern sich, eine junge Generation von Digital Natives steht bereit, die Arbeit ihrer Vorgänger zu übernehmen, ausgestattet mit ganz neuem Wissen und anderen Einstellungen.

In der globalen Wirtschaft lassen sich die Signale dieser Prozesse längst deutlich erkennen: Die Marktanteile vieler etablierter Unternehmen schwinden allerorts, die Konkurrenten aus den Schwellenländern holen auf, der Wettbewerb nimmt zu. Die Zeiten, da sich verlässliche wie komplexe Produkte nur mit deutscher Ingenieurskunst produzieren ließen, sind passé. Wettbewerber kommen plötzlich auch aus Branchen oder Regionen, mit denen man früher nicht einmal in Berührung kam. Wie also können Familienunternehmen unter diesen Bedingungen künftig ihren Platz behaupten?

Viele familiengeführte Unternehmen sind längst auf dem Weg, stellen sich der digitalen Transformation, implementieren neue Formen der Arbeit und Kollaboration, entdecken neue Märkte und Geschäftsmodelle, kooperieren mit neuen Partnern. Der Zwang zur Veränderung bedeutet große Anstrengungen, die von der Belegschaft durch die häufig besondere Identifikation mit dem Unternehmen aber angenommen werden. Außerdem sind Familienunternehmen traditionell solide finanziert, sodass für die Transformation auch seitens des Kapitals Schwungmasse vorhanden ist.

Trommeln statt verstecken
Und doch stehen die Organisationen des Mittelstands vor ganz eigenen Problemen. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen abseits der Metropolen, wie etwa den mehr als 1000 Hidden Champions in Deutschland, schlägt beispielsweise der Fachkräftemangel mit einiger Wucht durch. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) veröffentlichte in seinem aktuellen Innovationsreport, dass sich mehr als 80 Prozent der Unternehmen vor allem aus dem Mittelstand in ihrer Innovationsfähigkeit ausgebremst fühlen. Der Grund: fehlendes Fachpersonal. Die kleinen und mittleren Unternehmen stehen vor der Herausforderung, künftig weniger hidden zu sein und dafür mehr zu trommeln, also die Kommunikation nach außen zu verbessern oder überhaupt zu entwickeln.

Diese von außen wirkenden Herausforderungen sind immerhin leicht zu erkennen, ungleich schwieriger wird das, wenn man nach den inneren Beharrungskräften in einer Organisation sucht. Die US-Ökonomen Charles A. O’Reilly und Michael L. Tushman, der eine von der Stanford Graduate School of Business, der andere von dem Pendant in Harvard, untersuchten dabei einen Faktor, der als Problem zunächst geradezu paradox anmutet: den Erfolg. In ihrem Buch „Lead and Disrupt: How to solve the innovator’s dilemma“ gehen sie davon aus, dass gerade die heute erfolgreichen Unternehmen, vor allem die mit stolzer Tradition, potenziell am meisten durch ein Phänomen gefährdet sind, das die beiden Wissenschaftler als das „Erfolgssyndrom“ bezeichnen.

Schon in der Antike hatte der griechische Philosoph Aristoteles behauptet: „Wen die Götter strafen wollen, dem schenken sie 40 Jahre Erfolg“. Als Strafe brauchen wir den Erfolg der Familienunternehmen sicher nicht betrachten - bestraft wird nur, wer sich nicht bewegt. Nicht von den Göttern, sondern von den Märkten.

O’Reilly und Tushman verdeutlichen ihre Annahme mit dem Beispiel der US-Bücherkette Barnes & Noble. 1996 bot sich ihr die Chance, für 50 Millionen US-Dollar ein Unternehmen mit dem Namen Amazon zu kaufen, das zu diesem Zeitpunkt einen Jahresumsatz von 16 Millionen US-Dollar erwirtschaftete. Die Bilanz von Barnes & Noble wies zeitgleich einen Umsatz von zwei Milliarden US-Dollar aus. Aus heutiger Sicht eine einmalige Gelegenheit, die der Buchhändler aber bekanntermaßen nicht ergriff. Die Geschäftsführung trieb damals die Sorge, dass durch Kauf und Unterstützung der Entwicklung von Amazon Umsätze aus den eigenen erfolgreichen und profitablen Läden abfließen würden. Heute kämpft Barnes & Noble um seine Existenz.

Beispiele dieser Art gibt es viele. O’Reilly und Tushman erkennen darin ein wiederkehrendes Muster: Wie viele Menschen widmen sich Manager am liebsten den Themen, mit denen sie sich am besten auskennen. Die Autoren sprechen vom toxischen Effekt des Erfolgs, gerade in der Krise werden die Kräfte auf die Wahrung des Status quo gerichtet, man versucht mehr von dem zu tun, was einen schon früher erfolgreich machte. Das führt auch zu einer dominanten Logik in der Organisation, die sich immer auf das Gestern bezieht. Dee Hock, Gründer und ehemaliger CEO von Visa, behauptete, es sei leichter, neue Ideen zu entwickeln, als die alten aus den Köpfen zu kriegen. In diesem Sinne können die Wurzeln eines Unternehmens dann zu Ketten werden, die das Fortkommen verhindern.

Die drei Fallen
Seit drei Jahrzehnten arbeite ich mit Familienunternehmen zusammen. In der Obermark Gruppe schätzen wir diese sehr und sehen in ihnen nicht nur bedeutende und verlässliche Vermögenswerte, sondern auch einen wichtigen Wert für unsere Gesellschaft. Ich erkenne mitunter aber auch einige Parallelen zu O’Reillys und Tushmans Aussagen.

Vor allem kleine und mittlere Familienunternehmen bedienen oft das Klischee der Tüftler, die mit ihrem Spaß an der permanenten Weiterentwicklung von Produkten und Anlagen den Grundstein für den Erfolg des Unternehmens legten. Um diese Genies herum entstehen mitunter Strukturen, die dem Gründer 50 oder 100 Helfer zuordnen. Diese Unternehmen wirtschaften damit oft jahrzehntelang erfolgreich - sie schaffen es aber nicht mehr, signifikant zu wachsen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, oft wurde beispielsweise versäumt, eine zweite Führungsebene aufzubauen, eine wichtige Voraussetzung, um weiteres Wachstum zu generieren.

Ein weiteres Problem ist auf den ersten Blick kaum als ein solches zu erkennen, gilt der enge und oft über Jahrzehnte gepflegte Kontakt zu den Kunden doch eigentlich als wichtiger Vorteil von Familienunternehmen. Nur ist ein langjähriger nicht zwangsläufig auch ein guter Kunde. Wenn er zum Beispiel nicht mehr in sein Wachstum investiert, oder ständig nach „Extras“ verlangt, welche die Margen erodieren lassen.

Der in Indien geborene Ökonom Vijay Govindarajan formuliert drei Fallen, in die Unternehmen bei den an sich notwendigen Veränderungsprozessen geraten können. Die erste nennt er die Zufriedenheitsfalle: Bewusst oder unbewusst erzeugt Erfolg auch Selbstzufriedenheit. Der Erfolg vieler Unternehmen und Unternehmer ist ein sü.es Gift, es gaukelt Sicherheit und Stärke vor - und in dieser Komfortzone sucht man meist vergebens nach den im positiven Sinne leicht paranoiden Gründern oder Managern, die bei null anfangen, um aus dem Nichts etwas aufzubauen und zu wachsen. Erfolgreiche Unternehmen und Unternehmer haben etwas zu verlieren, entsprechend entscheiden sie ganz anders, als es ein Gründer täte, der etwas aufbauen will.

In diesem Szenario lauert auch die zweite, die Kompetenzfalle. Wer etwas sehr gut kann, wird immer versuchen, mit diesen Kompetenzen erfolgreich zu sein. Ein Weltmarktführer orientiert sich also eher an seinen Fähigkeiten und seinem Know-how, ein Gründer aber sucht nach dem, was die Kunden wollen, und holt sich dann die nötigen Kompetenzen dafür von außen. Gerade bei kleinen Familienunternehmen beobachten wir zum Beispiel ein mangelndes Interesse über Zukäufe nachzudenken, vor allem, wenn es um Kandidaten geht, die nicht unmittelbar im selben Geschäftsfeld agieren. Die Realität in kleinen und mittleren Familienunternehmen ist noch häufig eine Mentalität des Einigelns. Es herrscht der Anspruch, alles selbst zu machen, so wenig wie möglich nach draußen zu geben. Das betrifft die Wertschöpfung, aber auch Informationen. Und wer über einen langen Zeitraum die besten Produkte am Markt herstellt, meint schnell, alles über sein Geschäft zu wissen, und begibt sich dadurch unweigerlich nicht mehr in unbekanntes Terrain. Auch dann nicht, wenn es vielleicht direkt vor der eigenen Haustür liegt.

Die dritte Falle bezeichnet Govindarajan als die Kannibalisierungsfalle: Ein traditionell erfolgreiches Geschäft will man nicht durch ein neues gefährden. Es ist die eingangs erzählte Geschichte von Barnes & Noble und Amazon - die verschenkte Zukunft, aus Sorge um das Heute.

Wie also umgeht man diese drei Fallen? Govindarajan glaubt, dass der erfolgreiche Weg in die Zukunft nicht nur Neugierde und Offenheit für neue Ideen und Geschäftsfelder erfordert, sondern auch immer wieder ein bewusstes Loslassen von in der Zukunft nicht mehr hilfreichen Verhaltensweisen und geschäftlichen Aktivitäten, selbst wenn man damit in der Gegenwart noch erfolgreich und profitabel ist. Mit Blick auf die Beispiele am Anfang der Ausführungen musste ein erfolgreicher Maschinenbauer wie Voith also zuerst aufhören, eine kleine Schlosserei sein zu wollen. Heraeus konnte nur ein weltweit führender Verarbeiter von seltenen Metallen werden, weil die Nachfolger der Gründer entschieden, nicht mehr als Apotheker zu arbeiten. Die Identität und die Kompetenzen der Schlosserei und der Apotheke finden sich gleichwohl bis heute in den Unternehmen, nur werden diese für andere Geschäfte eingesetzt. Es sind die Wurzeln, aber nicht die Ketten der Organisation.

Alles gut?
Die Professorin Dr. Friederike Welter vom Institut für Mittelstandsforschung in Bonn veröffentlichte im September dieses Jahres einen bemerkenswerten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Darin ging die Wissenschaftlerin der Frage nach, ob der Mittelstand in Deutschland den Geist des Silicon Valleys tatsächlich brauche. Das Fazit des umfangreichen Textes lautete sinngemäß: Nein, denn alles ist gut. Die Autorin konterte die Innovationskraft des Silicon Valleys mit der wichtigen gesellschaftlichen Rolle, die der Mittelstand in Deutschland innehabe. Sie lobte die langfristige Ausrichtung des Mittelstandes. Das eine könne man mit dem anderen folglich gar nicht vergleichen.

Aber ist das so? Natürlich sind Familienunternehmen ein wichtiger Wert unserer Wirtschaft. Sie dienen nicht allein dem Zweck der Profitmaximierung, sind vielmehr Teil eines gesamtgesellschaftlichen Biotops, in dem sie durch langfristige Strategien erfolgreich agieren, nicht in Quartalen, sondern in Generationen denken. Sie zeigen Verantwortung, nicht nur gegenüber dem Kapitalmarkt, sondern auch für das Umfeld, die Menschen, Mitarbeiter und deren Familien.

Aber wird das die Wettbewerber davon abhalten, diesen Unternehmen die Marktanteile streitig zu machen? Die Familienunternehmen werden sich als in Deutschland endemische Art der Organisation im Ökosystem Wirtschaft nicht unter Schutz stellen lassen. Sie werden sich anpassen und verändern müssen. Das ist Evolution - nicht der Stärkste oder Klügste überlebt, sondern derjenige, der sich am schnellsten an veränderte Bedingungen anpassen kann. Ein solcher Prozess wird schmerzhafte Entscheidungen erfordern. Sich von heute noch erfolgreichen traditionellen Geschäften zu trennen, ist dabei möglicherweise noch der einfache Teil. Sich auch von traditionellen Verhaltensweisen, Konzepten und einigen Einstellungen zu lösen, weil sie in einer veränderten Umgebung nicht mehr hilfreich sind und dem Unternehmenserfolg in der Zukunft im Wege stehen, ist dagegen oft viel schwieriger.

Der Autor:
Dr. Peter Sewing ist Geschäftsführer der Obermark Gruppe, die in mittelständische Unternehmen mit dem Ziel einer dauerhaften gemeinsamen Entwicklung investiert. Obermark unterstützt die Führungskräfte dabei, die Unternehmen der Gruppe durch Innovationen und langfristig orientierte Veränderungen erfolgreich weiterzuentwickeln.

www.obermark.ch

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