Bilanzskandal Wirecard - Wie haften die Mitglieder des Aufsichtsrates? Von Dr. Carola Rinker und Dr. Marc Liebscher

Bilanzskandal Wirecard - Wie haften die Mitglieder des Aufsichtsrates?  Von Dr. Carola Rinker und Dr. Marc Liebscher

Nachdem die Wirecard AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hatte, stellte sich Aktionären und Anleihekäufern die Frage, gegen wen und wie Verluste aus Wertpapierkäufen geltend gemacht werden können. Neben der Wirecard AG werden u. a. insbesondere der Vorstand sowie die Wirtschaftsprüfer als mögliche Haftende in Betracht gezogen. Welche Rolle der Aufsichtsräte der Wirecard AG hier spielte und welche rechtlichen Folgen und Haftungsfragen damit verbunden sind, soll in diesem Beitrag etwas näher beleuchtet werden.

Weshalb braucht man überhaupt einen Aufsichtsrat, wenn sich dieser über Jahre hinweg in einem Ausmaß täuschen ließ, das bislang unvorstellbar erschien? Hätte man nicht früher erkennen können oder müssen, dass das Gremium seiner Aufgabe offenbar nicht gewachsen war? Das sind nur zwei Fragen, die sich nach dem spektakulären Zusammenbruch von Wirecard in Bezug auf die Aufsichtsratsarbeit stellen.

Im Untersuchungsausschuss von Wirecard wurden auch die (ehemaligen) Aufsichtsräte von Wirecard befragt, darunter Tina Kleingarn und Thomas Eichelmann. Der langjährige Vorsitzende des Kontrollgremiums blieb den Einladungen des Untersuchungsausschusses allerdings fern.

Tina Kleingarn war vom Sommer 2016 bis Herbst 2017 Aufsichtsrätin bei Wirecard und legte ihr Mandat nieder. Nach außen hat Wirecard ihr Ausscheiden so dargestellt, als habe sie aus persönlichen Gründen den Aufsichtsrat verlassen. Doch wie ihre Aussage im Untersuchungsausschuss Ende 2020 offenlegte, hatte es interne Konflikte und Kritik am Vorstand, den Prozessen sowie dem Kontrollsystem gegeben. Diese Kritik hatte sie auch in ihrem Abschiedsschreiben an den Aufsichtsratsvorsitzenden Wulf Matthias festgehalten. Da ihre Mahnungen und Warnungen nicht entsprechend Anklang fanden, sah sie sich schließlich gezwungen, ihr Mandat niederzulegen.

Thomas Eichelmann wurde Mitte Januar 2020 in einer ad-hoc-Aktion als Aufsichtsratsvorsitzender berufen. Laut seiner Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss, sei der Gesundheitszustand des bisherigen Vorsitzenden Wulff Matthias der Grund hierfür gewesen. Dieser war seit 2008 Aufsichtsratsvorsitzender des Zahlungsdienstleisters und gehörte somit lange Jahre zum Aufsichtsrat von Wirecard. Wulf Matthias wurde mehrfach zur Befragung vom Untersuchungsausschuss eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen erschien er jedoch nie.

Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich hinsichtlich der Beurteilung der Rolle des Aufsichtsrats mit der zentralen Frage, ob Wulf Matthias das Geschäftsmodell von Wirecard überhaupt verstanden hatte. Vieles weist laut Beobachter des Insolvenzfalles darauf hin, dass er bezüglich des Geschäftsverständnisses auf seine Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender, nicht sehr gut vorbereitet war. Unglücklich für den Aufsichtsrat war sicher auch die Doppelrolle von Markus Braun als Vorstandsvorsitzender und langjähriger Großaktionär. Dem Aufsichtsrat könnte es über viele Jahre auch schwergefallen sein, bei konträrer Ansicht dem Totschlagargument des „überlegendes Fachwissen im Detail“ gegenüber dem Aktionär, Mann der ersten Stunden und Vorstandsvorsitzenden, zu widerstehen.  

Bei der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals stellt sich also auch die Frage, welche rechtlichen Folgen dies für seine ehemaligen AR-Mitglieder hat. Denn den Aufsichtsrat treffen neben dem Vorstand erhebliche Pflichten. Werden diese verletzt, kann das eine persönliche Haftung nach sich ziehen. In Hinblick auf die Wirecard-Insolvenz sind gleich mehrere Sachverhalte haftungsträchtig.

Klar ist, ein Aufsichtsrat hat sein Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds zu erledigen. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, die Geschäftsführung zu kontrollieren und zu überwachen. Er kann zum Beispiel bestimmen, dass bestimmte Geschäfte nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden. Verletzen die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Kontroll- und Überwachungspflichten schuldhaft, sind sie grundsätzlich zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben hat sich der Aufsichtsrat an der Rechtmäßigkeit, der Ordnungsmäßigkeit und der Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung des Vorstandes zu orientieren.

Die bei Wirecard kolportierten Vorgänge machen deutlich: Pflichtwidriges Handeln des Aufsichtsrats ist z.B. gegeben, wenn er rechtswidriges Verhalten des Vorstands duldet. Verstößt der Aufsichtsrat hiergegen schuldhaft, kann er der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Ein weiterer denkbarer Haftungsfall ist das Dulden von Geschäften des Vorstands, die den satzungsgemäßen Unternehmensgegenstand der Gesellschaft überschreiten.

Ein Aufsichtsrat muss ferner prüfen und darauf achten, ob bzw. dass das Unternehmen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung über die notwendigen Instrumente verfügt. Dazu zählen z.B. ein funktionierendes Risikomanagement sowie ein den Anforderungen des Unternehmens genügendes Compliance-System. Auch dies könnte bei Wirecard relevant werden.

Bei unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands trifft den Aufsichtsrat die Pflicht, die vom Vorstand getroffenen Entscheidungen zu überprüfen. Bestehen auf Seiten des Aufsichtsrats Bedenken bei der Zweckmäßigkeit einer vom Vorstand getroffenen Entscheidung, hat er diese mit dem Vorstand zu erörtern. Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats geht soweit, dass er sich über erhebliche Risiken, die der Vorstand mit Geschäften eingeht, selbstständig informieren und ihr Ausmaß unabhängig vom Vorstand selbstständig abschätzen muss. Macht er das nicht und erteilt er dennoch seine Zustimmung zu solchen mit erheblichen Risiken behafteten Geschäften, handelt er pflichtwidrig und er setzt sich der Gefahr einer persönlichen Haftung aus. Auch hierfür könnte es bei den Vorgängen um Wirecard einige Anhaltspunkte geben.

Eine Haftung des Aufsichtsrats scheidet aber aus, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Dabei darf sich der Aufsichtsrat grundsätzlich auf die ihm vom Vorstand zur Verfügung gestellten Informationen verlassen können, sofern er keine begründeten Zweifel an deren Richtigkeit hat. Es wird aller Voraussicht nach Aufgabe der Gerichte werden, zu prüfen, ob sich die Aufsichtsräte von Wirecard auf diese Ausnahme werden berufen können. 

Außerdem wird auch folgender Punkt entscheidend sein: Voraussetzung für eine persönliche Haftung ist stets eine individuelle Pflichtverletzung des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds, so dass die einzelnen Mitglieder nicht automatisch haften, wenn einer der Aufsichtsräte seine Pflichten verletzt. Falls es also zu Haftungsprozessen kommt, müssen die Gerichte das Handeln jeden einzelnen Aufsichtsrats von Wirecard gesondert betrachten. Glaubt man den Äußerungen des Insolvenzverwalters und anderer möglicher Geschädigter, so sind Schadensersatzklagen gegen Wirecard-Aufsichtsräte wegen persönlicher Haftung wohl nicht unwahrscheinlich.

Die Autoren:

Dr. Carola Rinker, Diplom-Volkswirtin, Mitglied von ArMiD, Sachverständige im Untersuchungsausschuss von Wirecard und im Finanzausschuss des Bundestages zum Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG)

Dr. Marc Liebscher, Rechtsanwalt, spezialisiert auf Bank-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, Sprecher des Arbeitskreises Bank- und Kapitalmarktrecht im Berliner Anwaltsverein, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger SdK e.V., zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge, Sachverständigenanhörungen.

Lesen Sie dazu auch: 

Weitere News